Einzelfallhilfe

Einzelfallhilfe in der Bewährungshilfe

Einzelfallhilfe im Sinne von „Arbeiten mit einzelnen Menschen“ ist nach wie vor die quantitativ bedeutsamste Arbeitsform in der Bewährungshilfe. Probandinnen und Probanden werden einer Bewährungshelferin oder einem Bewährungshelfer namentlich unterstellt, wodurch eine klare Zuständigkeit, aber auch die Möglichkeit geschaffen wird, eine vertrauensvolle Beziehung entstehen zu lassen, über die die zahlreichen Inhalte der Betreuung transportiert werden können. Die jahrzehntelange Praxis zeigt, dass es in einer Vielzahl der Fälle gelingt, trotz des auch kontrollierenden Auftrags und des Zwangscharakters der Unterstellung eben diese für sozialpädagogisches Handeln notwendige Beziehung aufzubauen. Dadurch entsteht nicht nur eine Basis, dass Probandinnen und Probanden in Krisensituationen von sich aus die Unterstützung ihrer Bewährungshelferin oder ihres Bewährungshelfers suchen, sondern ermöglicht es auch, gegenüber den Klientinnen und Klienten offen konfrontierend unbequeme Wahrheiten anzusprechen, ohne dass dies einen Kontaktabbruch zur Folge hat.

In der Bewährungshilfe wird prozesshaft gearbeitet: Auf der Grundlage einer umfassenden Bestandsaufnahme (Anamnese) wird die Problemursache diagnostiziert. Daraus resultiert dann das Angebot konkreter Beratung oder Behandlung.

Eine wichtige Aufgabe im Rahmen der Einzelbetreuung besteht in der Überwachung der Auflagen und Weisungen, also etwa der Ableistung gemeinnütziger Arbeit, der Zahlung von Geldbußen oder Schadenswiedergutmachung oder auch der Durchführung angeordneter Therapien.

Von großer Bedeutung in den Einzelgesprächen ist auch die Aufarbeitung der begangenen Straftat(en). Dazu zählt die gemeinsame Suche nach den individuellen Ursachen delinquenten Verhaltens, die sehr vielschichtig sein können. So können Straftaten etwa Folgen von Suchterkrankung, von materieller Not, von Perspektivlosigkeit, von Persönlichkeitsstörungen, von defizitärer Aggressionskontrolle, von niedriger Frustrationstoleranz oder auch von mangelnder moralischer Kompetenz sein, sie können aber auch situativ begangen werden unter dem Einfluss problematischer gruppendynamischer Prozesse.

Es bleibt aber in der Einzelfallarbeit nicht bei der Ursachensuche, sondern es geht im jeweils konkreten Fall auch um die Erarbeitung von alternativen Problemlösungs- und Rückfallvermeidungsstrategien, je nach diagnostizierter Ursache durch sehr unterschiedliche Behandlungs- oder Beratungsangebote.

Die intensive Beschäftigung mit den Ursachen der Straffälligkeit ermöglicht darüber hinaus prognostische Aussagen über die Rückfallgefährdung und stellt häufig in Zweitverfahren eine wichtige Hilfe für gerichtliche Entscheidungen dar. Fehlende Bereitschaft, an delinquenzauslösenden Ursachen zu arbeiten, stellt z.B. ein wichtiges Kriterium für die Annahme einer ungünstigen weiteren Entwicklung dar.

Die Unterstützungsangebote der Bewährungshilfe sind von beeindruckender Vielfalt. In den Einzelgesprächen wird bei Bedarf und Notwendigkeit in Suchtfragen beraten und motiviert, es werden Schuldenregulierungen durchgeführt, es findet Beziehungs-, manchmal auch Erziehungsberatung ebenso statt wie allgemeine psychosoziale Beratung.

Einzelfallhilfe in der Bewährungshilfe beinhaltet aber auch allgemeine lebenspraktische Unterstützung, etwa bei der Arbeits- und Wohnungssuche, beim Umgang mit Geld usw. Auch werden wichtige Tugenden wie Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit oder auch Verantwortungsgefühl in der Einzelfallbetreuung konkret thematisiert, aber auch im Wege des Lernens am Modell praktisch erfahrbar. Die Bewährungshelferin oder der Bewährungshelfer sind sich in diesem Sinne ihrer Bedeutung als Vorbild bewusst.

Im Rahmen der Einzelfallhilfe findet auch das soziale Umfeld der Probandinnen und Probanden Beachtung. Angehörige und Freunde werden in die Betreuungsarbeit einbezogen, ebenso werden auch problematische oder fehlende soziale Kontakte thematisiert. Einzelfallhilfe findet in den Dienststellen der Bewährungshilfe, aber auch im Rahmen von Hausbesuchen oder an öffentlichen Orten statt.

Auf der Grundlage der Diagnostik delinquenzverursachender Faktoren und der Einleitung geeigneter „Behandlungen“ kommt der Einzelbetreuung eine weitere wichtige Aufgabe zu, nämlich die Erschließung geeigneter externer Ressourcen, also etwa die Vermittlung an spezialisierte soziale Dienste, an Therapeutinnen und Therapeuten oder an interne oder externe Gruppen. Bewährungshelferinnen und -helfer sind exzellente Kenner der regionalen sozialen Infrastruktur und mit zahlreichen Institutionen eng vernetzt. [32 KB]

Die Einzelfallbetreuung durch die Bewährungshilfe ist eine hochdifferenzierte Aufgabe, die an die Bewährungshelferinnen und –helfer hohe Anforderungen an fachlichem Wissen, an Menschenkenntnis, an Deeskalationsstrategien, an Beziehungsgestaltung, an Konflikt- und an Kommunikationsfähigkeit stellt. Ergänzt wird die Einzelfallbetreuung in der Bewährungshilfe durch punktuelle Angebote sozialer Gruppenarbeit.

Verfasser: Dr. Stephan Barth, 2007